In Arbeit
HUNDEHERZ
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Wagner neu denken.
Regisseurin Julia Lwowski über die Bayreuther Festspiele
Radiointerview im Deutschlandfunk mit Änne Seidel
Juli 2023 Der traurigste Held Richard Wagners stirbt an diesem Abend nicht. Das hat er auch schon in vielen konventionellen Inszenierungen nicht getan. Denn Opernregisseure lieben es, den an einer Stichwunde und unheilbarer Mutterschoßsehnsucht zu Grunde gehenden Tristan just im Moment seines Todes in einen Darsteller zurück zu verwandeln, der unverdrossen von der Bühne gehen darf. (...) Es ist wohlmöglich der schönste Einfall der vom Berliner Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen und dem Theater Hora gemeinsam gestemmten Tristan-Paraphrase, dass sie ihre Hauptfiguren nicht sich selbst überlässt. Schon zum Ende des zweiten Aktes, als Tristan sich ins Schwert seines Gegenspielers Melot stürzte, war das Ensemble für ihn eingetreten, hatte sich Spielerin um Spieler ebenfalls den tödlichen Stich aus der Attrappenklinge in Brust und Rücken versetzen lassen [und einen riesigen Wal in die Lüfte gehieft]. Gegen die notorische Inszenierungsresistenz der Wagner'schen "Handlung in drei Aufzügen" strampelt hier ein Kollektiv, das keine Einzelkämpfer duldet, keine Leiche im Feld zurücklässt. Alle sind sie Tristan, alle auch Isolde, Marke, Brangäne, Kurwenal, Steuermann und Hirte. (...) Es ist – und da kommt die Inszenierung seinem eigenen "nadryw" doch nahe – alles immer am Anschlag mit Wagner obendrauf. Gut möglich also, dass dieser kolossale Belastungsbruch eines Tages, wenn die Luft aus dem Wal längst abgelassen ist, in der Erinnerung zu dem wird, was Erlebnisse dieser Art bestenfalls werden: Kult. (c) Video-Still von Martin Mallon Janis El-Bira, nachtkritik.de
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DON'T YOU NOMI?
Ein musikalisches Biopic über Klaus Nomi
LINDE 21
Staatsoper unter den Linden Oktober 2023 Als Sänger verkannt, zog es den aus dem Allgäu stammenden Klaus Nomi nach New York. Der visionäre deutsche Countertenor stand quer zu den Grenzen und Genres. Mit seinem Crossover aus Oper, Pop und New Wave war er seiner Zeit voraus und wurde mit seinem außergewöhnlichen Auftreten als retro-futuristische Kunstfigur zu einer Underground-Attraktion. David Bowie zeigte sich von Nomi inspiriert, engagierte diesen für einen Auftritt bei der NBC-Show »Saturday Night Live« und verhalf ihm so zum Durchbruch. Noch bevor Nomi seinen unbeirrbar verfolgten Weg hin zu einem gewertschätzten Künstler erleben konnte, starb er tragisch als eines der ersten prominenten Aids-Opfer in Armut und Einsamkeit. Die Regisseurin Julia Lwowski, die mit dem Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen 2022 für den deutschen Theaterpreis »Der Faust« nominiert wurde, entwickelt eine Hommage an den Ausnahmekünstler in seiner lebenslangen Suche nach Anerkennung, Zugehörigkeit und Identität. (c) Lea Sovso |
Die Jungfrau von Orléans
von P. Tschaikowski / F. Schiller
Saarländisches Staatstheater
April/Mai 2024 Julia Lwowski hat sich bereits mehrfach in verschiedenen theatralischen Formaten und Performances mit dem »Jeanne d´Arc«-Stoff beschäftigt. Nun entwickelt sie mit dem Kollektiv Hauen und Stechen ein großes, politisches Opernprojekt jenseits der klassischen narrativen Erzählweisen. Mit Tschaikowskis selten gespielter Oper »Die Jungfrau von Orléans« will sie einen ungewöhnlichen Blick auf das große Chorstück und auf die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc zeigen. Mit der Figur der Johanna und dem Krieg in der Ukraine bringt das Kollektiv einen zerreisenden und tragischen politischen Diskurs auf die Bühne. Die Entscheidung, Teile der Oper nicht nur in der Originalsprache Russisch, sondern auch in eigens neu übersetzten ukrainischen Partien aufzuführen, soll die Ambivalenz des auch in der Oper gezeigten, hochaktuellen Kriegsgeschehens zur Diskussion stellen. (c) Nika Frank |
Nixon in China
von John Adams
Deutsche Oper Berlin
Jun 2024 / Feb 2025 Zwei der mächtigsten Männer der Welt schütteln sich die Hand – und die Welt schaut zu: Mit ihrer Oper über den Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon bei Mao Tse-tung im Jahr 1972 brachten der Komponist John Adams und die Librettistin Alice Goodman Zeitgeschichte auf die Bühne. Ihnen schwebte eine »heroische Oper« vor, die von modernen Mythen und der Macht der Bilder erzählt. Die Annäherung der beiden Systeme war eines der gewaltigsten Medienspektakel des 20. Jahrhunderts, Nixon selbst setzte das Ereignis in seiner historischen Bedeutung mit der Mondlandung gleich. Wie eine satirisch-überhöhte TV-Dokumentation folgt die Minimal-Music-Oper weitestgehend dem Protokoll des mehrtägigen Staatsbesuchs und zeigt ihre überlebensgroßen Protagonist*innen zwischen Selbstinszenierung, der Suche nach Verständigung und Ratlosigkeit. 36 Jahre nach der Uraufführung bringt die Deutsche Oper Berlin NIXON IN CHINA erstmals in einer szenischen Neuproduktion nach Berlin. John Adams, einer der meistgespielten Komponisten unserer Gegenwart, gehört zusammen mit Steve Reich, Philip Glass und Terry Riley zu den bekanntesten Vertretern der Minimal Music, die in den 1960er Jahren als Gegenentwurf zur europäischen Avantgarde entstand. Doch auch wenn Adams’ wohl bekannteste Oper als Paradestück dieses Musikstils gilt, entzieht sich das Werk in seiner Hybridität solch engen Stilzuschreibungen. Farbenreich orchestriert und in tranceartigen Repetitionen lässt der Klangmagier John Adams den Bigband-Sound der Swing-Ära ebenso aufleben wie das Erbe der europäischen Klassik. In der Inszenierung vom Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen von NIXON IN CHINA fokussiert sich die Gruppe vor allem auf den propagandistischen Aspekt des Gipfeltreffens, bei dem so heikle Themen wie der Vietnamkrieg oder das angespannte Verhältnis zu Vietnam bewusst ausgeklammert wurden. Nach ihrem Abend zu Rossinis IL VIAGGIO A REIMS im Rahmen der Performance-Reihe AUS DEM HINTERHALT kehrt das Kollektiv zurück an die Deutsche Oper Berlin. |
Faustpreis
Julia Lwowski ist mit ihrem Musiktheaterkollektiv Hauen & Stechen in der Kategorie Regie Musiktheater für die Inszenierung DIE VERUTREILUNG DES LUKULLUS von Paul Dessau und Berthold Brecht an der Staatsoper Stuttgart für den diesjährigen Deutschen Theaterpreis DER FAUST nominiert.
(c) Max Zimmermann
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24. Februar 2022
Liebe Freunde, liebe Kollegen,
Es herrscht Krieg in meinem Land und ich will einige Worte dazu sagen. Es sind seelische Beobachtungen einer russischsprachigen Deutsch-Ukrainerin, die in diesen Tagen nicht nur das Scheitern der Diplomatie erlebt, sondern womöglich auch der Kunst. In der letzen Woche haben mich viele, viele Menschen gefragt, wie es mir und meinen Verwandten in der Ukraine geht, mir liebe Worte der Solidarität, der Unterstützung und der Anteilnahme geschickt. Ich schätze das unendlich, tue mich allerdings schwer, darauf zu antworten. Daher versuche ich nun – es hat über eine Woche gedauert – meine Gedanken und Gefühle schriftlich festzuhalten. Die paar Stunden, die mir während der jetzigen Probenzeit am Nationaltheater Weimar bleiben, verbringe ich damit, mit meiner Familie in der Ukraine Kontakt zu halten und die Nachrichten zu verfolgen. Ich bin zutiefst getroffen, schockiert, fassungslos über die Gewalt, den Terror und die Ungerechtigkeit, die der Ukraine widerfährt. Aber momentan ist das Unerträglichste für mich, dass jenseits aller Zerstörung und Tod ich keinen Ausweg, keine Licht am Ende des Tunnels sehe. Während sich international und im meinem direkten Umfeld in Deutschland eine unglaubliche Welle der Solidarität entfaltet, eine wahnsinnig Energie zu Tage kommt, fühle ich mich ohnmächtig und hilflos. Ich, die oft gefragt werde, wo ich meine zündende Energie herhabe, bin ohne Kraft. Es ist nicht Müdigkeit, es ist eine Paralyse. Vieles hat mit dem zu tun, dass meine Arbeit – meine Kunst – mir plötzlich so belanglos erscheint. Natürlich sollte Kunst im besten Fall politische Aktualität widerspiegeln, auf den Zeitgeist reagieren und uns Utopien schenken. In meiner jetzigen Inszenierung Norma – der „tragica lirica“ von Vincenzo Bellini – werde ich den Krieg versuchen nicht unkommentiert zu lassen. Aber ich merke in diesen Tagen, dass das, wofür ich sonst in der Kunst gekämpft habe, peinlich und nichtig ist gegenüber dem, was in der anderen Hälfte meiner Seele passiert. Der Krieg holt die Kunst ein und ich stehe machtlos da. Was mit meinem Heimatland wird, kann ich nicht erahnen. Aber egal mit welchem Ausgang dieser sinnlose Krieg endet, wird ein dunkles Zeitalter beginnen. Städte und Infrastruktur sind zerstört, die Wirtschaft am Ende, das ukrainische Volk wird sich mit einer Kapitulation nicht zufrieden geben. Plötzlich rückt der Tod so nah. Wie kann ich mit Kunst antwortet? Ich habe Angst um die Zeit nach dem Krieg. Ich hoffe auf Frieden und Unversehrtheit für meine Angehörigen und alle Ukrainer*innen. Ich sehe heroische Menschen, die ihr Land und ihr Leben verteidigen und wünsche mir darüber hinaus, dass der Nationalismus, den dieser Krieg beflügelt und der mir panische Angst bereitet, keine Überhand über die Menschen in der Ukraine und der ganzen Welt gewinnt. Ich habe viele Verwandte auch auf der anderen Seite des Schützengrabens. Einige sind gegen den Krieg. Viele, allzu viele befürworten ihn aber und sind davon überzeugt, dass es es sich um eine gerechte und notwendige Befreiung handelt. Diese Tatsache ist sehr schwer für viele im Westen nachzuvollziehen: es geht nicht nur um Propaganda und Manipulation seitens Russland. Es sind zutiefst verankerte Ängste und Komplexe, die in der russischen Bevölkerung und der Diaspora eine breite Unterstützung genießen. Trotz der tapferen Antikriegsproteste in vielen Städten und der Bekundung vieler Künstler, die dadurch ihre Freiheit riskieren. In meiner Ohnmacht halte ich mich an dem Funken Pragmatismus fest, der von mir glücklicherweise gefordert wird. Ich helfe meiner Familie, ukrainische Verwandte über die Grenzen und nach Deutschland zu bringen und komme diese Woche mit meiner Premiere im DNT Weimar raus – der Ersten, die ich während so eines brutalen Schicksalsschlages erleben werde. In diesem unaussprechbaren Nebeneinander von Kunst und Krieg wünsche ich mir, dass die künstlerische Synergie meine Ohnmacht überwiegt und uns in diesen dunklen Zeiten Kraft gibt. Aber bis dahin kann ich Euch nur ein zutiefst traurigen Gruß schicken und Euch bitten auf Eure Art und Weise aktiv der Ukraine und den Menschen zu helfen. Bitte helft: https://voices.org.ua/en/ Eure Julia |
Angst vor dem Danach
Matthias Bertsch im Gespräch mit deutsch-ukrainischen Regisseurin Julia Lwowski
Die 1987 in der Ukraine geborene Künstlerin hat an der Berliner Hochschule für Musik "Hanns Eisler" Regie studiert und vor zehn Jahren das Musiktheaterkollektiv "Hauen und Stechen" gegründet. Seitdem ist sie auf großen staatlichen Bühnen genauso zuhause wie in der Off-Szene. Ihre Waffe, gesellschaftlich etwas zu bewegen und dabei Grenzen zu überwinden, ist die Kunst. Doch angesichts des Krieges in der Ukraine fällt es ihr schwer, angemessene Worte zu finden. Julia Lwowski hat Verwandte auf beiden Seiten der Front und weiß, wie tief die ideologischen Gräben sind - auch angesichts des 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Während sich die Ukraine gegen den Überfall der russischen Armee wehrt, wähnt sich diese in einem erneuten Kampf gegen den Faschismus. |
Theaterkünstler:innen Umfrage im Verlag Theater der Zeit
Was soll das Theater jetzt tun?
Anfang März, eine Woche nach dem russischen Angriff auf mein Heimatland, fühlte ich ein akutes Bedürfnis, meine bitteren Gedanken und aufgewühlten Gefühle über die Ukraine zu teilen. Ich schrieb einen offenen Brief an Freunde und Kollegen. Seitdem sind bei mir zwei Premieren verstrichen – und die tiefe Ohnmacht, die ich in dem ersten Brief beschrieb, ist fast noch stärker geworden. Denn als Theatermacherin ist es derzeit unsagbar schwer, Theater zu machen. Jeden Tag gehe ich zur Probe und frage mich nach dem Sinn. Was mache ich da? Wie kann das, was wir hier machen, dem entsprechen, was in unserem Heimatland passiert? Meine praktischen Fähigkeiten als Regisseurin könnten doch auf eine ganz andere Art helfen, als im Theater. Transferable skills nennt man es. Ende Mai kuratiere ich an der Oper Wuppertal ein Festival zum Thema Kampfsport. Vereinfacht bedeutet das – kunstvolles Kämpfen, an der Gewalt Freude und Schönheit finden. Wie soll das jetzt gehen? Fernab von Wuppertal, am anderen Ende Europas, ging am 16. März die Nachricht um die Welt, dass ein zum Luftschutzbunker umgewandeltes Theater in Mariupol, in dem hunderte Bürger sich verschanzt hatten, von Raketen getroffen wurde. In dieser hässlichen, grausamen Realität, in der wehrlose Menschen gezielt umgebracht werden, ist die Frage, was das Theater und das Publikum in Zeiten des Krieges braucht, undenkbar für mich zu beantworten. Wie soll ich auf diese Frage eine Antwort finden in dieser dunklen „Stunde Null“? Ich muss gestehen, dass ich vor dem Ukraine-Krieg für das Thema nicht genügend sensibilisiert war. Früher gab es bei uns im Kollektiv keinen Kodex, keine besondere Vorsicht damit. Krieg darzustellen war eine Fortsetzung der menschlichen Leidensgeschichte mit anderen Mitteln. Theater mag politisch sein, aber Theater ist keine Politik. Theater ist Kunst. Es gilt den Zeitgeist aufzusaugen und uns den Spiegel vorzuhalten. Es wäre absurd, wenn die deutsche Kulturlandschaft weiter Dostojewski, Tschechow und Tschaikowski aufführen würden, als ob nichts wäre. Als eine von der russischen Kultur geprägte Ukrainerin möchte ich damit nicht sagen, dass die großen Künstler gecancelt sein sollten. Bloß nicht. Sie verlieren nicht an Wucht und Weisheit, nur weil in Moskau seit 20 Jahren ein Despot am Hebel sitzt. Diese Schriftsteller und Komponisten würden sich im Grabe umdrehen und so einen Krieg den jetzigen Machthabern nie verzeihen – so wie sie auch damals größtenteils regimekritisch waren, jeder auf seine Art und Weise. Dennoch: Die Aufarbeitung hätte längst passieren müssen. Umso heftiger platzen die Pestbeulen auf im russisch-ukrainischen Kulturkrieg – wer kommt woher, wer gehört wohin? Ist Gogol ein russischer, Bulgakow ein ukrainischer Schriftsteller? Eigentlich sind solche Debatten im Theater und der Gesellschaft tendenziell gesund. Nur passiert das gerade unter den makabersten Zuständen und jeder will seine „Wahrheit“ proklamieren. So eine Zerrissenheit hindert die Kreativität und lässt alles wund und unmöglich, schwarz-weiß und starr erscheinen. In so einer Zerrissenheit will ich keine Phantasien wagen. Und doch, wie so oft gibt es Momente der Erhellung, kleine Theaterwunder – ganz unverhofft. Es kamen zu unserer Jeanne D’Arc Performance eine Gruppe von Theaterstudenten und es entwickelte sich ein spontanes Q&A. Und dann fiel der Groschen als wir vor dieser Gruppe junger Theaterschaffenden umgeben waren: Das einzige was Theater momentan braucht ist das gemeinschaftliche Zusammenkommen. Nur kollektiv kann man Schmerz, Hass und Konflikt überwinden. Ich glaube fest daran. Deswegen machen wir weiter, obwohl es schwerfällt. Weil so für einige Minuten die Utopie möglich scheint. Davon ist die Geopolitik so weit weg wie von unserem brennenden Erdball die Sterne. |
Coming soon...
Hundeherz von Michail Bulgakov West Germany Premiere 12. September 2024 Parsifal
nach Richard Wagner Theater Thikwa Premiere 2025 Nixon in China
von John Adams Deutsche Oper Berlin ab 27. Februar 2025 // Wiederaufnahme The Tempest
von Thomas Adès Staatstheater Kassel Premiere 17. Mai 2025 |
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